Ringvorlesung des WAZ im SS 2023

Die Gewissheit des Todes, der Umgang mit Verstorbenen und die vielfältigen Vorstellungen zur Totenwelt sind Themen, die den Menschen seit seinen Anfängen bis in die heutige Zeit beschäftigen. Die archäologischen Spuren aus prähistorischer und historischer Zeit zeugen von den unterschiedlichen, bisweilen spektakulären Formen, Riten und Praktiken, mit denen Menschen der Vergänglichkeit des Lebens und des Körpers begegneten. Die Vielfalt reicht vom Pharaonengrab über den Kurgan oder die Gruft unter dem Wohnraum bis hin zur einfachen Erdbestattung oder Urnengräbern. Nicht selten sind Gräber wichtige und reichhaltige archäologische Zeugnisse der jeweiligen materiellen Kultur und der Bestattungssitten, erlauben aber als bewusste Konstruktionen und Inszenierungen ebenso den Blick auf die Lebenden und die dahinterstehenden gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen. Mit Hilfe naturwissenschaftlich-anthropologischer Methoden lassen sich den Knochen Informationen zur Ernährung, Herkunft oder Gesundheit entlocken, sodass eine Archäologie des Todes nicht nur den Umgang mit dem Tode, sondern vor allem auch die Lebens- und Handlungsweisen der Menschen zu ihren Lebzeiten beleuchtet.

Die Ringvorlesung stellt Schlaglichter der Archäologie des Todes aus prähistorischer und historischer Zeit vor und lädt ein zu einer Spurensuche nach Praktiken, mit der Vergänglichkeit umzugehen, und nach den Möglichkeiten, ihr entgegenzuwirken.

Programm der WAZ-Ringvorlesung

24.04.2023 | Dr. Ana Maspoli | Ulrich Stockinge, M.A. (Basel)
Frauen mit Eigenschaften. Zwei exzeptionell erhaltene Bestattungen von Zivilistinnen vor den Toren des römischen Legionslagers Vindonissa (CH)  

08.05.2023 | Dr. Michael Francken | Dr. Jürgen Hald (Konstanz)
Der Galgen bei Allensbach — Ausgrabung und Erforschung einer frühneuzeitlichen Richtstätte am Bodensee 

Obwohl Richtstätten in der Vergangenheit zum täglichen Leben in Deutschland dazugehörten, konnten bisher nur wenige archäologisch untersucht werden. Aufgrund einer geplanten Ausbaufläche der Bundesstraße 33 ergab sich im Frühjahr und Sommer 2020 die Gelegenheit den Galgen der Herrschaft Reichenau in Allensbach durch die Kreisarchäologie des Landratsamtes Konstanz und das Landesamt für Denkmalpflege auszugraben. Nach Archivquellen wurden an der von den Verkehrswegen gut einsehbaren Richtstätte vermutlich vom 15. bis ins 18. Jahrhundert Todesurteile vollstreckt. Als bauliche Reste des zweischläfrigen Galgens haben sich zwei gemauerte Fundamente erhalten. Dazwischen waren in einer flachen Grube mindestens vier Personen zu verschiedenen Zeitpunkten verscharrt worden. Hinzu kommen sieben Körpergräber nördlich des Galgens sowie einzelne menschliche Skelettreste weiterer Individuen, die möglicherweise bis zur Skelettierung am Galgen hingen. Spuren an den Knochen belegen die Bandbreite unterschiedlicher Hinrichtungspraktiken, darunter Enthaupten und Rädern. Mehrere Gruben mit verbrannten menschlichen Skelettresten deuten zudem auf die Möglichkeit von Feuerexekutionen hin. Erste Ergebnisse der anthropologischen Untersuchung deuten an, dass es sich bei den Delinquenten keinesfalls nur um Mitglieder der unteren sozialen Schichten gehandelt haben muss, sondern vielmehr Menschen aus allen Gesellschaftsschichten an der Richtstätte zu Tode kamen. 

15.05.2023 | Prof. Dr. Peter Pfälzner (Tübingen)
Die Königsgrüfte von Qaṭna  – Totenkult, Erinnerungskultur und Jenseitsvorstellung in der Bronzezeit Syriens

Die Aufdeckung zweier unberaubter Königsgrüfte unter dem mittel- bis spätbronzezeitlichen Königspalast von Qaṭna (Syrien) brachte nicht nur eine Vielzahl wertvoller Funde aus Gold, Silber, Elfenbein, Alabaster und Schmucksteinen ans Tageslicht, sondern liefert auch tiefreichende Einblicke in die königlichen Bestattungspraktiken und die Jenseitskonzeption des Alten Orients. In dem Vortrag werden die vielfältigen Aktivitäten in den Grabkammern rekonstruiert, die in Zusammenhang mit dem Totenritual und dem Ahnenkult standen. Primär- und Sekundärbestattungen sowie Umbettungen werden analysiert. Zudem werden das Totenmahl und die kulturelle Praxis des kispu erörtert. Dies mündet in eine Diskussion des in den Gräbern festzumachenden kollektiven Gedächtnisses, der Übergangsriten (rites de passage) sowie der kollektiven Repräsentation des Todes in den Grabanlagen.

22.05.2023 | Dr. Florian Leitmeir (Würzburg) | Dr. Jutta Günther (Göttingen)
Symphonie des Todes – Musik im römischen Begräbniskult 

Von spontanem Klageschreien, schrillenden Trompetensignalen bis hin zu einer komponierten Trauermusik: Klänge und Musik bildeten stets einen festen Bestandteil des römischen Bestattungsrituals. Wenngleich die konkreten Laute verklungen und nicht wieder reproduzierbar sind, so begegnet uns ihr Widerhall in archäologischen, ikonographischen und literarischen Quellen. In unserem Vortrag wollen wir anhand der bemerkenswerten medialen Transformationsprozesse der korrespondierenden Quellen den „Klangraum“ des römischen Begräbnisses rekonstruieren und erfahrbar machen.

05.06.2023 | Prof. Dr. Ingo Strauch (Lausanne)
Buddhistischer Stupa- und Reliquienkult 

Wohl von Beginn an war der Kult der Reliquien des Buddha und bedeutender buddhistischer Geistlicher von zentraler Bedeutung für die buddhistische Kultpraxis. Davon zeugen sowohl einige der ältesten buddhistischen Texte als auch eine Vielzahl archäologischer und inschriftlicher Quellen. Nicht immer sprechen Texte und materielle Zeugnisse dieselbe Sprache. Mein Vortrag wird daher zum einen die theoretischen Grundlagen der buddhistischen Reliquienverehrung erläutern, wie sie sich uns aus den Texten erschliesst. Zum anderen sollen ausgewählte frühbuddhistische Kultstätten vorgestellt werden, die uns einen Einblick in die materielle Erscheinungsform dieser Theorien gewähren.

19.06.2023 | Prof. Dr. Stephan Seidlmayer (Kairo | Berlin)
Funeräre Kultur und Gesellschaft. Strukturen, Medien und Kontexte der Grab- und Bestattungspraxis im Alten Ägypte

Monumente aus der Welt des Totenkults prägen das Bild des Alten Ägypten – und zweifellos bildeten Tod, Bestattung und Grabkult ein zentrales Feld der rituellen Praxis. Entscheidend ist es, diese Sphäre der „funerären Kultur“ in ihrem umfassenden sozialen und kulturellen Kontext zu verstehen. Dies kann exemplarisch in der Konzentration auf das konkrete historische und soziale Milieu des Gebiets von Aswân im 3. Jahrtausend v.Chr. geschehen. Eine ungewöhnlich dichte archäologische Überlieferung, insbesondere aus den beiden Gräberfeldern der alten Provinzstadt Elephantine, auf der Insel und am Felshang der Qubbet el-Hawa, bezeugt die Räume, Gegenstände und Praktiken des Totenkults in der ganzen Breite der lokalen Gemeinschaft. Hier wird sichtbar, wie in den Formaten des Totenkults grundlegende soziale Formationen dargestellt, Strukturen und Werte ausgehandelt und Medien der Kommunikation und Repräsentation entwickelt wurden, die für die Konstitution der altägyptischen Gesellschaft insgesamt prägend waren.

03.07.2023 | Prof. Dr. Elke Stein-Hölkeskamp (Duisburg-Essen)
Helden-Tod: Rituale der Bestattung und Erinnerung in archaischer Zeit 

17.07.2023 | Dr. Andrea Zeeb-Lanz (Speyer)
Massenmord, Kannibalismus — oder Menschenopfer? Der einzigartige Fundplatz der Bandkeramik von Herxheim (Südpfalz

Der mittlerweile wohl bekannteste frühneolithische Fundplatz Europas, der Ritualort mit Doppelgraben von Herxheim (Rheinland-Pfalz), wird auch 15 Jahre nach Abschluss der letzten Grabungen immer noch kontrovers diskutiert. Hier wurden am Ende des 6. Jts. v. Chr. insgesamt wohl mehr als 1000 Menschen getötet, danach zerlegt und ihre Knochen letztlich in kleine Fragmente zerschlagen. Die Schädel erhielten eine besondere Behandlung – man fertigte schalenförmige Kalotten daraus an. Vergesellschaftet mit den über 70 000 menschlichen Knochenfragmenten war eine erhebliche Menge hochqualitativer verzierter Keramik, ebenfalls intentionell zerstört, sowie zerschmetterte Steingeräte und ausgewählte Tierknochen. Im reich bebilderten PowerPoint-Vortrag werden zahlreiche noch immer rätselhafte Details der Anlage vorgestellt. Der Ort wird von einem Teil der bearbeitenden Wissenschaftler als frühneolithische Ritualstätte interpretiert, an der spezielle Menschenopfer stattfanden. Verschiedene weitere, teils sehr kontroverse Interpretationsansätze wie etwa Kannibalismus sind ebenfalls Bestandteil des Vortrags. Auch der Versuch einer Einordung in das bandkeramische Gesamtbild soll unternommen werden.

Veranstaltungsdetails:
Die Ringvorlesung beginnt am 24. April 2023 und findet jeweils montags um 18.15 Uhr im Toscanasaal der Residenz Würzburg (Südflügel, Residenzplatz 2, Tor A) statt.
Universität Würzburg, Würzburger Altertumswissenschaftliches Zentrum

Die Online-Teilnahme ist ebenfalls möglich:
https://uni-wuerzburg.zoom.us/j/69028577090 (Meeting-ID: 690 2857 7090)

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